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ZurückMehr Bewegungsfreiheit bei Inkontinenz dank moderner Hilfsmittel
Mehr als ZEHN MILLIONEN Menschen in Deutschland leiden an Inkontinenz. Die Dunkelziffer liegt jedoch weitaus höher, denn das Unvermögen, Urin oder auch Stuhlgang bewusst und kontrolliert zurückzuhalten, ist ein Tabuthema. Das gilt glücklicherweise nicht für Sanitätshäuser. Hier finden Menschen mit Inkontinenz neben aufsaugenden Hilfsmitteln auch ableitende Produkte, wie beispielsweise Urinalkondome, Einmal- oder Dauerkatheter.
Beim Sanitätshaus Rosenkranz Scherer in Bad Homburg kümmert sich ein sechsköpfiges care team um die Beratung von Inkontinenzpatienten und die Anpassung ableitender Hilfsmittel: Teamleiter Michael Fahrenbruch, Pflegeexpertin Stoma, Kontinenz, Wund Maria Mayer sowie vier ausgebildete Gesundheits- und Altenpflegerinnen mit entsprechenden Zusatzausbildungen. Das SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin sprach mit den beiden erfahrenen Experten.
SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Bei Inkontinenz denken die meisten Menschen an aufsaugende Produkte, wie Vorlagen und Windeln. Sie sind vor allem auf ableitende Inkontinenzprodukte spezialisiert. Was bedeutet das?
Michael Fahrenbruch: Ableitende Inkontinenzhilfen kommen vor allem bei neurologischen Blasenentleerungsstörungen zum Einsatz, die durch eine Krankheit, wie Schlaganfall, Multiple Sklerose, Parkinson, Alzheimer oder Demenz, durch Unfälle, operative Eingriffe oder angeborene Störungen bedingt sind. Die Produkte leiten Körperausscheidungen, also Urin bzw. dünnflüssigen oder breiigen Stuhl direkt oder über Verbindungsschläuche in entsprechende Auffangbeutel ab.
Maria Mayer: Besonders für Menschen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, sind Katheter zur einmaligen Blasenentleerung (Selbstkatheterisierung) eine Entlastung. Diese kann meist ohne fremde Hilfe selbst durchgeführt werden. Die Materialien finden Platz in jeder Tasche und sind sicher und leicht in der Handhabung. Damit Patienten, die einen Dauerkatheter oder ein Urinalkondom tragen, auch weiterhin mobil bleiben können, können die dazugehörigen Katheterbeutel am Ober- oder Unterschenkel befestigt werden. Diese und andere Hilfsmittel ermöglichen es dem Betroffenen, wieder aktiv am sozialen Leben teilzunehmen und sein Selbstwertgefühl zu stärken.
SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Warum ist eine fachkompetente Beratung so wichtig?
Michael Fahrenbruch: Inkontinenz ist ein sehr intimes Thema. Viele Patienten versuchen lange Zeit, mit aufsaugenden Mitteln zurechtzukommen, für deren Einsatz sie keine fremde Hilfe benötigen. Doch bei einigen Erkrankungen reicht eine aufsaugende Versorgung nicht mehr aus. Wenn etwa ein ständiger Stau mit Restharn in der Blase bleibt, können Harnwegsinfekte entstehen. In diesem Fall muss ein Katheter gelegt werden, entweder über den Penis, bei Frauen über die Harnröhre oder aber auch über die Bauchdecke.
Auch bei einer Anus-Inkontinenz oder anderen schweren Fällen der Inkontinenz sind ableitende Hilfen sinnvoll; sie setzen jedoch eine Beratung und entsprechende Anleitung voraus. Viele männliche Patienten wissen übrigens nicht, dass es Alternativen zum Blasenverweilkatheter gibt. Unter gewissen Voraussetzungen kann ein Urinalkondom einen Katheter ersetzen. Dieses muss jedoch präzise angelegt werden und ist daher nicht für jeden geeignet.
Maria Mayer: Erklärungsbedürftig ist häufig auch, welche Hilfsmittel bei welchen Erkrankungen von den Krankenkassen übernommen werden. Hier besteht auch bei Ärzten noch Aufklärungsbedarf. Grundsätzlich sind Inkontinenzhilfsmittel verordnungs- und erstattungsfähig. Wir raten Patienten, sich bei ihrer Krankenkasse nach einem Sanitätshaus vor Ort zu erkundigen, das entsprechende Produkte abgibt und auch die nötige Beratungskompetenz aufweist.
Was viele nicht wissen: Wer einen Katheter in der Klinik bekommen hat, der hat Anspruch auf eine Nachsorge durch den Sozialdienst des Krankenhauses. Wichtig ist, dass auf dem Rezept eine Diagnose angegeben wird. Für eine reibungslose Kostenübernahme der Krankenkasse sind des Weiteren die genaue Größe, Stückzahl und der Versorgungszeitraum auf dem Rezept anzugeben.
Da Produkte zur Inkontinenzversorgung bundesweit ausgeschrieben werden, sind uns im Sanitätshaus Rosenkranz Scherer leider oft bei der Beratung und der Abgabe die Hände gebunden. Besonders Stoma-Patienten bekommen dies zu spüren. Im Kassenvertrag ist vorgeschrieben, dass wir uns alle sechs Monate telefonisch erkundigen müssen, ob der Patient mit seinen Hilfsmitteln zurechtkommt und eine weitere Beratung oder Anleitung benötigt. Während wir als Sanitätshaus einen Außendienst und speziell ausgebildete Mitarbeiter haben, können sich deutschlandweite Ausschreibungsgewinner einen solchen Service oft nicht leisten oder halten ihn nicht vor. Darunter leiden sehr häufig die Patienten.
Text und Interview: Carolin Oberheide. Der Text ist erstmals im SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin – Ausgabe 3/2018 erschienen.
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