Ich habe mit allen Freunden darüber gesprochen.

Katrin ist 26 Jahre alt. Die junge Winzerin lebt mit ihren Eltern und ihrem Hund Luke auf einem Weingut in Badenheim. Wegen einer unheilbaren Darmerkrankung entschied sie sich zur Operation und bekam für drei Monate ein Ileostoma. Seit einem Jahr lebt sie mit einem ileoanalen Pouch.

Alles fing damit an, dass ich öfter Durchfall und viele Bauchkrämpfe hatte. Meine Hausärztin hat darauf nie reagiert und ich habe deshalb lange gedacht: „Ach, das wird so ein Reizdarm sein.“ Dann habe ich doch mal den Hausarzt gewechselt. Der meinte: „Da müssen wir mal gucken, was es ist.“ Weil die Ergebnisse von Bluttest und Stuhlprobe unauffällig waren, hat er mich danach zur Darmspiegelung geschickt: Es waren dann über 100 Polypen in meinem Dickdarm. Der Arzt hat daraufhin gefragt, ob ich vielleicht in der Familie schon Erkrankungen hätte in Richtung Darmkrankheit oder Polypenbildung. Das konnte ich nicht beantworten, das wusste ich nicht. Mein Blut sollte deshalb noch auf FAP untersucht werden.

Katrins Dickdarm war voller Polypen

Wo der Bluttest auf das FAP-Gen gemacht wurde, hat man mir erst mal erklärt, was das alles für mich bedeuten kann: FAP ist die Abkürzung für Familiäre adenomatöse Polyposis. Da wachsen im Dickdarm unaufhaltsam Polypen, die irgendwann mit hundert-prozentiger Sicherheit entarten. Ich hatte dort ein gutes Gespräch mit der Humangenetikerin und habe sie auch gefragt, ob man nicht die Polypen immer mal wieder rausschneiden kann. Und sie hat geantwortet, so einfach wäre das nicht: Wenn sich bestätigte, dass ich diesen Gendefekt habe, dann müsste der Dickdarm raus und… Da habe ich gedacht: „Das ist ziemlich schlecht. Künstlicher Darmausgang, oh Gott…“ – also ich war ziemlich fertig. Meine erste Reaktion war: „Das lasse ich nicht machen. Der Dickdarm bleibt drin und wenn ich dann…“ Da wusste ich noch nicht, dass ich so wahrscheinlich innerhalb der nächsten Monate oder Jahre Krebs kriege. Ich dachte: „Den kriegt man vielleicht mit 50.“

Zuhause habe ich das auch alles gegoogelt. Ja, das war einfach furchtbar. Aus Angst, im Internet zu viele negative Sachen aufzuschnappen, habe ich deshalb meine Freunde beauftragt, für mich zu recherchieren. Und die haben gelesen, dass man bei meiner Grunderkrankung FAP ein Stoma später einmal zurückverlegen kann, und dass man einen Pouch machen könnte – vor allem bei jüngeren Menschen wäre das ganz gut. Dass ich jetzt nicht für immer ein Stoma benötige.

Als ich jetzt wusste, der Krebs kommt bei FAP schneller als man denkt, habe ich mich natürlich irgendwann mit dem Gedanken angefreundet, mich doch operieren zu lassen. Und dann ging alles ganz schnell. Mitte August beim Hoffest auf dem Weingut meiner Eltern habe ich meine Freunde und Bekannte mobilisiert, einen erfahrenen Viszeralchirurgen für mich zu finden und ich habe mich dann entschieden: „Das Ding kommt raus, der macht mir einen Pouch.“

Mitte September war der OP-Termin für die Dickdarmentfernung, die Anlage des temporären Stomas und die Anlage des Pouches für später. Ich war relativ gefasst in der Zeit davor. Denn ich habe alle Freunde eingeweiht, ich habe mit jedem darüber gesprochen, weil das meine Art ist, das zu verarbeiten. Ich habe irgendwann mal die Mandeln rausgekriegt, so was Ernstes hatte ich noch nicht. Ich dachte halt, ich fahre dahin, die schneiden das Ding raus, und in ein paar Tagen bin ich wieder raus aus dem Krankenhaus, und alles geht weiter. Ja, das war schon ein bisschen mehr.

Aber meine Freunde – vom Alter sind die stark gestreut von 18 bis 50 – haben mich im Krankenhaus besucht. Die meisten wollten auch mal gucken: „Zeig mal den Beutel. Ich will mal sehen, wie das Stoma aussieht“, und – es hat sich keiner geekelt. Sie fanden es eher interessant, weil die sich damit ja vorher schon beschäftigt hatten.

Ja, ich selbst wollte mit dem Beutel erstmal nichts zu tun haben. Die Versorgung war ständig undicht, weil mein Ileostoma in einer Bauchfalte lag. Ich habe dann immer geklingelt und die Schwestern haben das neu gemacht. Einmal hat aber eine Schwester gesagt, ich sollte meinen Beutel jetzt mal gefälligst selbst entleeren – und das habe ich dann auch gemacht. Da habe ich erstmal angefangen, mich damit zu beschäftigen, was da so raus-kommt und so. Im Krankenhaus denkt man noch: „Ok, jetzt habe ich da den Beutel, den muss ich jetzt ausleeren“. Aber man ist noch nicht im Alltag.

Ja, doch zu Hause in meiner gewohnten Umgebung habe ich schon noch einen Rückschlag gekriegt. Meine Eltern haben sich sehr um mich gekümmert, besonders meine Mama. Die hat mir auch bei der Versorgung geholfen. Mein Stoma war für sie nicht schlimm, aber ich habe ihr natürlich leid getan. Man hat auch mal Tage, wo man zusammen heult und denkt, es sei alles blöd hier. Weil ich halt eben schwach war, also ich habe mich selbst nicht wiedererkannt. Ich war eigentlich immer ein Kraftpaket, und von Beruf bin ich ja Winzerin, da muss man körperlich viel leisten. Es war für mich einfach komisch, das nicht mehr so zu können.

Dann kam ja auch eine Mitarbeiterin eines Sanitätshauses zu mir nach Hause. Das hatte das Krankenhaus noch organisiert. „So, ich kriege jetzt erst mal zehn Euro für das Versorgungsrezept“, hat sie als erstes gesagt, und am Wochenende hätte sie eh keinen Dienst… Ich habe mir daraufhin schnell eine neue Stomatherapeutin gesucht: Jutta, die war erste Sahne. Die kam von einem HomeCare-Unternehmen sofort an einem Sonntag, als rund um mein Stoma halt alles wiedermal wund war und gebrannt hat. Mit einer konvexen Versorgung wurde das dann alles besser. Und so ging es in mein neues Leben mit Stoma – natürlich mit dem Hintergedanken, dass es irgendwann wieder wegkommt.

Katrin lebt mit einem ileoanalen Pouch

Mitte Dezember hatte ich dann endlich meine Rückverlegung des Stomas, und mein Pouch wurde operativ angeschlossen. Es verlief bei mir leider nicht so reibungslos wie bei anderen. Es gab Komplikationen, ich konnte das Ganze noch nicht richtig kontrollieren und musste eine noch längere Zeit danach mit Einlagen herumlaufen.

Den Wendepunkt hatte ich in der Reha, in der Anschlussheilbehandlung. In den drei Wochen dort haben die mich wieder sehr gut aufgepäppelt. Ich habe da auch Gymnastik mit einer lustigen Physiotherapeutin angefangen. Und dort habe ich ein ganz nettes Grüppchen gefunden, die fragten: „Heute Abend spielen wir, kommst du runter?“ – „Ja, mal gucken“, habe ich erst nur gesagt. Nach zwei Wochen haben die schon gesagt: „So, jetzt fahren wir in die Stadt und du kommst mit!“ Darauf habe ich gefragt: „Wie bitte, in die Stadt? Und wenn ich mal muss?“ Eine aus der Gruppe antwortete: „Ich habe alles schon ausgekundschaftet – ich muss auch ab und zu mal auf Toilette, alles kein Problem. Du kommst mit und wenn irgendwas ist, wir sind bei dir.“ Das hat mir ein sicheres Gefühl gegeben, dass ich einfach mitgehen konnte – und dass alles gut wird.

Ja, als ich nach der Reha zurückkam, haben zu Hause alle gesagt: „Katrin, du bist schon fast schon so wie früher.“ Ich habe mich auch gefreut, dass ich wieder etwas unternehmen konnte. Ich gehe wieder im Weinberg arbeiten, obwohl das am Anfang schwierig war und ich noch sehr häufig zur Toilette musste. Ja, und siehe da, ich kann auch mal vier Stunden draußen bleiben. Und der Weinberg wird noch fertig geschnitten. Und das geht jetzt alles.

Ich habe mein Stoma drei Monate gehabt. Jetzt habe ich zum Glück kein Stoma mehr. Doch ein Stoma ist auf jeden Fall besser, als an Darmkrebs oder sonst was zu sterben. Ich habe jetzt keine Angst mehr, Dickdarmkrebs zu kriegen. Ich weiß jetzt aber auch, es gibt ein Leben mit einem Stoma. Ja, wenn die Rückverlegung bei mir nicht möglich gewesen wäre, dann hätte ich auf jeden Fall das Ileostoma noch mal korrigieren lassen. Dass mir da nicht mehr diese Pampe in den Rand der Versorgung reinläuft und das halt brennt. Das war schon ziemlich blöd.