Stoma, Schlamm und Heavy Metal
ZurückWir waren auf dem Wacken Open Air 2023 und haben auf einem der größten Heavy-Metal-Festivals der Welt Stomaträger:innen getroffen. Denn das „W:O:A“ vereint viele Herausforderungen zur selben Zeit an einem Ort: 80.000 Metal-Fans feiern mit 200 Bands und leben für vier Tage gemeinsam auf dem größten Campingplatz Deutschlands. Der in diesem Jahr auch noch im Regen und Matsch versank.
Unser Quartier haben wir im Foundation Camp aufheschlagen. Dort informierten wir gemeinsam im „Netzwerk für Patientenkompetenz“ über Krebserkrankungen und ihre Folgen. Für die Stoma-Welt genau der richtige Platz auf dem Festival, Tumorerkrankungen wie Darm- und Blasenkrebs sind die häufigste Ursache.
Krönender Abschluss des jetzt schon legendären „Schlamm-Wacken“ war eine gemeinsame Aktion des Netzwerks, mit der wir auf dem Festival zur Darmkrebs-Vorsorge aufriefen.
Die Schlamm-Schlacht
Auf der Fahrt zum Festival bekamen wir einen Vorgeschmack dessen, was uns vor Ort erwartet. Das Verkehrschaos rund um das beschauliche Dorf Wacken ging durch die Presse. Mit Regen und Schlamm sind Veranstalter und Fans vertraut, aber in diesem Jahr fiel im Vorfeld einfach zu viel Regen. Ein Großteil des Ackers, der während des Festivals zu Deutschlands größtem Campingplatz wird, war nicht mehr befahrbar. Am Mittwoch kam es erstmals in der Geschichte des W:O:A zum offiziellen Anreisestopp.
Der traf leider auch das Stoma-Welt Team. Während Sabine und Christian außerhalb unterkamen, musste ein Team-Mitglied die Anreise abbrechen. Und damit blieb leider auch unsere Notfall-Box auf der Strecke, mit der wir Stomaträger:innen bei Bedarf mit Platten und Beuteln aushelfen. Aber hier zeigte sich sofort, wie stark die Stoma-Community zusammenhält. Über Kontakte vor Ort konnten wir kurzfristig Ersatz beschaffen, für den Fall der Fälle. Danke an alle, die uns ausgeholfen haben.
Und dann waren wir da… und standen knöcheltief im Matsch. Gummistiefel waren der Verkaufsschlager auf dem Festival. Besser bedient war man allerdings mit wasserdichten hohen Wanderschuhen. Denn das Gelände ist uneben und die Wege sind weit.
Die Stoma-Welt auf Wacken
Unser zentraler Treffpunkt war das Zelt des Netzwerks für Patientenkompetenz. Das Netzwerk unterstütz Krebs-Betroffene und ist eine Initiative, der die Krebsfront, die Schleswig-Holsteinische Krebsgesellschaft, die DKMS, Stark gegen Krebs e.V. und weitere Organisationen angehören. Seit Juli 2023 ist auch die Stoma-Welt Teil des Netzwerks, das zum ersten Mal auf dem W:O:A vertreten war.
„Für mich ist ein Netzwerk für Patienten so etwas wie das Netz für einen Drahtseil-Tänzer. Also jemandem der auf dem Drahtseil geht und darunter ist ein Netz. Und das fängt ihn auf. Dieser doppeldeutige Sinn des Netzwerks hat sich bei mir in den Kopf gebohrt.“
Es gibt kaum ein besseres Bild für das Ziel des Netzwerks als diese Beschreibung des Wacken-Mahlers und Netzwerk-Initiators Jens Rusch. Eine Krebserkrankung als Drahtseil-Akt des Lebens.
Das große Interesse und die vielen guten Gespräche zeigten, wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das W:O:A ist ein Schmelztiegel unserer Gesellschaft. Wir kamen nicht nur mit Metal-Fans ins Gespräch, die persönlich oder in ihrem Umfeld Erfahrungen mit Krebserkrankungen gesammelt haben. Die Metal-Szene ist auch stark geprägt von Menschen, die in sozialen Berufen, in der Pflege und im Rettungsdienst arbeiten.
Ein junger Metalhead sprach uns an, ganz begeistert vom Support der Stoma-Welt für Stomaträgr:innen auf dem W:O:A. Seine Freundin konnte ihn dieses Jahr nicht begleiten, sie lag nach ihrer Stoma-OP noch im Krankenhaus. Von uns gab’s zum Start ins Stoma-Leben unsere Infobroschüre Wir leben mit einem Stoma mit Erfahrungsberichten und wichtigem Basis-Wissen. Und natürlich unsere Stoma-Metal-Sticker, die es nur auf dem Festival gibt.
Am Nachbarzelt wartete eine Gruppe Jugendlicher in der Schlange geduldig auf ein Autogramm von Comedian Torsten Sträter. Wir kamen ins Gespräch und waren positiv überrascht über ihr großes Interesse an der Krebsvorsorge und dem Leben mit einem Stoma.
Festival mit Stoma
Und natürlich gehen hier Grüße raus an alle Heavy-Metal-Fans mit Beutel am Bauch, die wir vor Ort getroffen haben.
Dennis bekam sein Stoma erst vor vier Wochen. Deshalb hatte er das W:O:A schon aus seinem Kalender gestrichen. Doch dann packte es ihn und er reiste kurzentschlossen mit der Bahn von Berlin an. Er kam bei Freunden im Zelt unter, dort war wegen des Anreise-Stopps ein Platz frei geblieben.
Thomas hat sein Stoma nur für einige Monate, nach einer Divertikulitis-OP. Aber auch für ihn noch lange kein Grund auf das W:O:A zu verzichten. Oder Paolo, der wohl bekannteste Stomaträger auf dem Festival. Während er auf TikTok und Instagram sein Leben mit Stoma teilt und damit Vorurteilen und Ängsten begegnet, war er hier als Infield-Reporter für Magenta-TV am Start. Wir liefen uns mitten in der Nacht auf der Hauptstraße von Wacken über den Weg.
Uns allen war eines gemeinsam: mit Stoma eines der größten Musik-Festivals der Welt zu besuchen bedeutet vor allem jede Menge Spaß, gute Laune und Abschalten vom Alltag. Und falls es mit der Stoma-Versorgung doch mal klemmt, macht man einfach das Beste draus. Hilfe und Unterstützung findet man immer.
Ansonsten gilt auch beim Besuch eines Festivals dieselbe Empfehlung wie bei Reisen. Faustregel: nehmt doppelt so viel Versorgungs-Material mit, wie ihr sonst zu Hause für die Versorgung eures Stomas benötigt. Damit seid ihr auf der sicheren Seite.
Das passende Outfit
Wie statte ich mich für ein Open-Air Festival aus? Hier unsere Erfahrungen und Tipps vom „Schlamm-Wacken“.
Cargo-Hosen haben sich sehr bewährt. Sie sind auch mit Gummibund erhältlich. So wird nichts zu eng, wenn sich der Beutel füllt. Daneben bieten sie mit ihren tiefen Hosentaschen und zusätzliche Taschen an den Hosenbeinen genug Stauraum für alles, was man direkt mit sich trägt. Vor allem für das zusätzliche Stoma-Material für den Notfall.
Wer mehr Platz benötigt und z.B. auch Wechselkleidung bis vor die Bühnen mitnehmen möchte, kann sich auf vielen Festivals einen Rucksack kennzeichnen lassen. Damit erkennen die Security-Mitarbeiter an den Schleusen, dass der Inhalt des Rucksacks aus medizinischen Gründen mitgeführt werden muss. Auf dem W:O:A findet ihr die dafür richtigen Ansprechpartner im Zelt der alsterarbeit in der „Wheels of Steel Area“.
Eine Stomabandage sorgt für zusätzlichen Halt des Stomabeutels. Wer sich durch Bandagen zu sehr in der Bewegung eingeschränkt fühlt, für den bietet sich Funktions-Unterwäsche an. Sie liegt eng am Körper, hält warm, wenn abends ein kühles Lüftchen geht, und trocknet schnell, wenn man verschwitzt ist. Geht beides natürlich auch in Kombination.
Dann noch das obligatorische Fan-Shirt und man ist für das Überleben auf dem Festival bestens gerüstet.
Das saubere Örtchen - ein Festival-Mythos?
Bleibt noch die Frage nach den Sanitär-Anlagen. Neben den erwartbaren Dixi-Klos gibt es auf weiten Teilen des W:O:A-Geländes Spül-Toiletten. Trotz der schlechten Wetterverhältnisse und dem vielen Regen und Matsch waren dieses Jahr alle von uns getesteten Toiletten überraschend sauber. Lediglich eigenes Toilettenpapier sollte man zur Sicherheit zur Hand haben.
Auch Behinderten-WCs stehen zur Verfügung, die natürlich auch von Stomaträger:innen genutzt werden können und sich bei Bedarf zum Versorgungs-Wechsel anbieten. Da die Sanitärstationen von Reinigungsteams betreut werden und unser Beutel am Bauch unter der Kleidung unsichtbar ist, sollte man bei Nachfragen des Personals seinen Schwerbehindertenausweis zur Hand haben.
Und sonst so?
Am Mittwoch zeigte Thomas Jensen, einer der W:O:A-Gründer, mit seinem Besuch am Stand des Netzwerks stellvertretend für die gesamte Festival-Organisation seine Solidarität mit Krebsbetroffenen und ihren Supportern.
Ein weiteres Highlight war der Besuch von Aurel Manthei. Der Schauspieler verkörpert den W:O:A-Gründer Thomas Jensen in der 6-teiligen Serie „Legend of Wacken“. Mit seiner Charity-Aktion „Metal heilt!“ unterstützt er u.a. Projekte und Aktionen von Metality e.V.
Ach ja, Musik gab es natürlich auch… bis spät in die Nacht. Die Favoriten des Stoma-Welt-Teams waren in diesem Jahr die Bands Santiano, Hammerfall und natürlich die Headliner Iron Maiden, die mit ihrem Auftritt in Wacken ihre Europa-Tournee abschlossen.
Die tapfertsen Frauen auf dem W:O:A
Das große Finale des Festivals war für uns aber nicht eine der Bands, sondern die geniale Bodypainting-Aktion von Kathi und der Stoma-Mutmacherin Tina, beide Mitstreiterinnen im Netzwerk für Patientenkompetenz.
Kathi hatte bereits im Jahr 2022 gemeinsam mit den Bodypainter:innen von „Majas Farbenzauber“ sehr erfolgreich für die Brustkrebs-Vorsorge geworben. Für ihr Engagement wurde sie von der Stiftung Immun-Onkologie mit dem Ehrenpreis im Rahmen der Aktion "An deiner Seite" ausgezeichnet.
Während des Festivals entstand ganz spontan die Idee mit einem neuen Motiv zur Darmkrebs-Vorsorge aufzurufen. Sie fand sofort die Unterstützung der Bodypainter:innen, die auf dem W:O:A Models zugunsten der Wacken Foundation bemahlen.
Das Doppel-Motiv zeigt den Kampf gegen Darmkrebs und die sichtbaren Folgen, wie Narben und ein Stoma. Bei den Metal-Fans auf dem Gelände und vor den Bühnen sorgten Kathi und Tina damit für ordentlich Aufmerksamkeit für dieses enorm wichtige Thema.
Danke
Das Stoma-Welt Team bedankt sich bei allen, die diese großartige Aktion und den Support für Menschen mit Krebs und Beutel am Bauch auf dem W:O:A möglich gemacht haben: dem Netzwerk für Patientenkompetenz, insbesondere Jens Rusch, Tina, Ralf, Kathi und Brigitte, Frauke, Sylvia, Nicole und Michael, Bernd und Jana, Oliver, sowie Sönke, Claudia und Maja von Majas Farbenzauber und der Wacken Foundation.
Wir sehen uns auf dem W:O:A 2024, Rain or Shine!