Pauschale Folgen

Zurück

20.05.2011

Am 30.06.2010 lief die Übergangsfrist aus, zu der auch die letzten bis dahin noch bestehenden Verträge zwischen Versorgern und Krankenkassen ihre Gültigkeit verloren. Die zunächst geplanten Ausschreibungsverfahren sorgten bei Betroffenen für Verunsicherung, konnten sich aber nicht durchsetzen. Dennoch ist der Kostendruck in der Stomaversorgung gestiegen. 5-10%1 der Stomaträger waren in den vergangenen Monaten von einer Versorgungsumstellung betroffen. Nicht immer, aber häufig eine Folge der neuen Pauschal-Verträge zwischen Krankenkassen und Versorgern.

steigender Kostendruck auf dem Stomamarkt

In der Stomaversorgung haben sich heute weitgehend die Verträge durchgesetzt, bei denen jeder Versorger (Sanitätshaus, HomeCare-Unternehmen oder Apotheke) mitmachen kann, der mit dem vereinbarten Preis einverstanden ist und die geforderten Qualitätsbedingungen der Krankenkasse erfüllen kann (Beitrittsverträge). Von der Krankenkasse erstattet wird dabei immer öfter eine Monatspauschale. In den meisten Fällen ist diese für den monatlichen Bedarf an Platten, Beuteln usw. eines Stomaträgers auch ausreichend. Allerdings gibt es immer wieder einzelne Betroffene, die einen weit höheren Verbrauch haben als die Pauschale abdeckt.

Wer mit seinem Verbrauch über der Pauschalvergütung liegt, wird unter Umständen zum ungern gesehenen Kunden. Von mehreren Stomaträgern wurde uns berichtet, dass sie wie gewohnt ihr Rezept abgeben wollten und plötzlich abgewiesen wurden. Oft mit dem Argument, die Krankenkasse würde dieses oder jenes Produkt oder die vom Arzt verordnete Menge nicht mehr bezahlen. Völlig verwirrend wird es, wenn man als Betroffener bei der eigenen Krankenkasse nachfragt und zu hören bekommt: „Natürlich bekommen sie alles was sie benötigen.“ Und dann?

Grund für die widersprüchlichen Aussagen ist oft ein scheinbar weit verbreitetes Missverständnis. Denn bei der Pauschale handelt es sich gerade nicht um einen Maximalbetrag pro Person, sondern um einen statistischen Durchschnittswert für alle Stomaträger einer Krankenkasse. Deshalb muss niemand privat zuzahlen, weil der persönliche Bedarf höher ist als die Pauschale. Ebenso wenig wie er eine Gutschrift bekommt, wenn er weniger Kosten verursacht als andere.

Anstatt den eigenen Kunden vor die Tür zu setzen lohnt es sich für den Versorger oft zu hinterfragen, warum der Verbrauch nicht in die Pauschale passt. Ist die Ursache eine Komplikation, die sich mit weniger Aufwand nicht versorgen lässt, wird das über die Mischkalkulation des Versorgers aufgefangen. Dem betroffenen Stomaträger darf dabei kein Nachteil entstehen.

Häufig sind aber Fehlversorgung für einen hohen Verbrauch verantwortlich. Zum Beispiel verhält sich ein Colostoma bei einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung nicht selten so wie ein Ileostoma und ist mit einem Ausstreifbeutel besser versorgt als mit fünf und mehr geschlossenen Beuteln täglich. Eine Umstellung der Versorgung macht in solch einem Fall auch für den betroffenen Stomaträger Sinn. Für ihn wird es einfacher und weniger aufwendig, ein Gewinn für beide Seiten.

Auch war in der Vergangenheit manches möglich, was heute kritisch hinterfragt wird. Wer sein Ileostoma mit einem geschlossenem Beutel versorgt, hat einen zwei- bis dreimal höheren Verbrauch als ein Colostomieträger, für den die geschlossenen Beutel eigentlich gedacht sind. Ist der Mehrbedarf wirklich begründet oder ist es reine Bequemlichkeit oder eine vermeintlich „sauberere Versorgung“, wenn kein Ausstreifbeutel verwendet wird? Diskussionen mit der Krankenkasse und dem Versorger sind hier vorprogrammiert. Ohne medizinische Begründung muss man sich in solchen Fällen auf eine Änderung der eigenen Versorgungsgewohnheiten einstellen.

Dass Stomaträger plötzlich abgewiesen oder mit privaten Zuzahlungen konfrontiert werden, erleben Betroffene vor allem in Apotheken und kleinen Sanitätshäusern vor Ort. Dort versorgt man nur wenige Stoma-Kunden und hat schlechtere Einkaufskonditionen als die großen Häuser, die viele Stomaträger betreuen. Manchmal reicht da schon ein einziger Kunde mit einem deutlich höheren Verbrauch und von den gezahlten Pauschalen bleibt für sie kein Verdienst mehr übrig. Ist ein hoher Verbrauch unvermeidlich, ist man heute bei einem großen Sanitätshaus oder HomeCare-Unternehmen besser aufgehoben. Auch wenn dieses nicht am eigenen Wohnort ansässig ist und die benötigten Platten und Beutel per Paketdienst sendet.

Änderungen in der Stomaversorgung einzelner Betroffener gab es schon immer. Aber die medizinischen Gründe rücken heute mehr und mehr in den Hintergrund und oft ist der gestiegene Kostendruck der Auslöser. Das Problem: für viele Stomaträger ist weder transparent wie das Beziehungsdreieck zwischen ihnen, ihrer Krankenkasse und ihrem Versorger tatsächlich aussieht, noch was die eigene Versorgung eigentlich kostet. „Ich benötige das ja und die Krankenkasse zahlt das.“ Und weil die zwischen Kassen und Versorgern ausgehandelten Pauschalen auch noch unterschiedlich hoch sind kann es da große Unterschiede geben, die aber nicht zu Lasten der Stomaträger gehen dürfen. Kein Wunder also, wenn so manch eine Stomatherapeutin mit gemischten Gefühlen zu einem Hausbesuch fährt, wenn eine Änderung in der Stomaversorgung ansteht. Eine bessere Aufklärung der Betroffenen würde es allen Beteiligten leichter machen.

Die Versorgung muss „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sein, heißt es im Gesetz.2 Aber manchmal ist „ausreichend und zweckmäßig“ mehr als die Pauschale mit ihrem Durchschnittswert hergibt. Dann müssen Krankenkasse und Versorger individuelle Lösungen finden, ohne die Lebensqualität des Betroffenen aus dem Blick zu verlieren. Denn auch bei gestiegenem Kostendruck gilt weiterhin: kein Stomaträger darf auf der Strecke bleiben!

Quellen:

1Blitzumfrage im Stoma-Forum & eigene Recherchen

2 siehe § 12 SGB V

Bildquelle: Thorben Wengert / pixelio.de